Warum Schweizer Unternehmer nachrangige Hypotheken auf ihre Immobilien aufnehmen
Zusammenfassung
By: Semir Ben Ammar on 18.12.2024 11:47:44
Zusammenfassung
Niederstwertprinzip: Hypotheken dürfen nur auf dem tieferen Wert von Kaufpreis und Verkehrswert der Immobilie basieren, was eine konservativere Kreditvergabe sicherstellt.
Basel III und neue Eigenmittelverordnung (ERV): Ab dem 1. Januar 2025 tritt in der Schweiz Artikel 72b (ERV) in Kraft, der das Niederstwertprinzip wesentlich beeinflusst. Insbesondere verlängert sich die Geltungsdauer des Niederstwertprinzips von bisher 2 auf 5 Jahre, wodurch sich der Zeitraum bis zu einer möglichen Neubewertung der Liegenschaft erheblich ausdehnt.
Auswirkungen auf Kreditnehmer: Geringere Flexibilität bei Hypothekenaufstockungen für Investitionen oder Liquidität, es sei denn, die Mittel werden direkt in die Immobilie reinvestiert.
Implikationen für Banken: Reduzierte Zinseinnahmen und potenziell höhere Konkurrenz durch alternative Kapitalgeber wie Crowdlending-Plattformen oder Private Credit Fonds.
Alternative Kapitalgeber: Steigende Bedeutung, da sie oft weniger streng reguliert sind und höhere Belehnungswerte anbieten können, wodurch sie für Kreditnehmer attraktiver werden.
In wenigen Tagen tritt das Basel III Rahmenwerk per 1.1.2025 in der Schweiz in Kraft und mit ihm die neue Eigenmittelverordnung (ERV).1 Diese sieht wichtige Anpassungen beim sogenannten “Niederstwertprinzip” vor. Doch was ist das Niederstwertprinzip und welche Auswirkungen hat es auf Kreditnehmer, Banken und alternative Kapitalgeber wie z.B. Private Credit Fonds?
Im folgenden Artikel werden wir Antworten auf diese Fragen liefern und uns eingehend mit den Grundlagen und deren Anpassungen beschäftigen.
Das Niederstwertprinzip wurde 2014 von der Schweizerischen Bankiervereinigung («SBVg») eingeführt und wird ab 2025 in nationales Recht, in Form der Eigenmittelverordnung für Banken, überführt. Es ist von zentraler Bedeutung bei der Vergabe von Hypotheken durch Banken und bedeutet im Kern, dass eine Liegenschaft nur auf den tieferen Wert aus Verkehrswert und Kaufpreis belehnt werden darf. Der Verkehrswert (oder auch Marktwert genannt) entspricht hierbei einer Wertermittlung durch die Bank oder durch einen Immobilienbewerter. Die Konsequenz ist, dass Banken eine tiefere Hypothek gewähren aufgrund des geringeren Wertes der Liegenschaft. Wichtig hierbei ist es zu beachten, dass das Niederstwertprinzip bisher für 2 Jahre ab Handänderung galt. Das heisst, nach Ablauf der 2 Jahre konnte die Bank eine neue Schätzung auf die Liegenschaft veranlassen und im Falle einer Werterhöhung der Liegenschaft bei gleicher Belehnung (d.h. «Loan-to-Value» oder «LTV») das Hypothekendarlehen erhöhen. Ziel des Niederstwertprinzips ist es die Gefahr einer Immobilienblase – insbesondere während der letzten Niedrigzinsphase – zu reduzieren, da Kreditnehmer über mehr Eigenkapital verfügen müssen, um die Differenz zwischen Verkehrswert und effektivem Kaufpreis zu finanzieren (SBVg, Basel III Final (2022)).
Das folgende Beispiel illustriert nochmals das Konzept des Niederstwertprinzips für zwei Szenarien unter der Annahme, dass der Kaufpreis in beiden Fällen identisch ist, der Verkehrswert sich jedoch vom Kaufpreis unterscheidet:
Szenario A): Kaufpreis > Verkehrswert
Ein Immobilienkäufer kann eine Liegenschaft für CHF 10 Mio. (=Kaufpreis) akquirieren. Die Bank bewertet die Immobilie jedoch zu lediglich CHF 8 Mio. (=Verkehrswert). Der Kaufpreis liegt damit über dem Verkehrswert und gemäss Niederstwertprinzip muss die Hypothek auf dem Verkehrswert von CHF 8 Mio. angesetzt werden (s. Abbildung 1 unten, Szenario A). Bei einem LTV von 75% beträgt die Hypothek somit «nur» CHF 6 Mio. und der Immobilienkäufer muss die Differenz zwischen Kaufpreis und Hypothek i.H.v. CHF 4 Mio. in Form von Eigenkapital aufbringen (s. Abbildung 2 unten, Szenario A).
Szenario B): Kaufpreis < Verkehrswert
Der gleiche Immobilienkäufer kann nun wieder eine Liegenschaft zum gleichen Preis von CHF 10 Mio. (=Kaufpreis) akquirieren. Die Bank bewertet diese Immobilie jedoch zu CHF 12 Mio. (=Verkehrswert). Der Kaufpreis liegt damit unter dem Verkehrswert und der Käufer macht augenscheinlich ein gutes Geschäft. Doch obwohl die Bank die Liegenschaft teurer bewertet, besagt auch hier das Niederstwertprinzip, dass die Hypothek nur auf dem tieferen der beiden Werte – sprich dem Kaufpreis von CHF 10 Mio. – angesetzt werden darf (s. Abbildung 1 unten, Szenario B). Bei einem LTV von 75% beträgt hier die Hypothek CHF 7.5 Mio., wobei das aufzubringende Eigenkapital in diesem Fall nur CHF 2.5 Mio. beträgt (s. Abbildung 2 unten, Szenario B).
Abbildung 1: Niederstwert (CHF Mio.)
Abbildung 2: Hypothek und Eigenkapital (CHF Mio.)
Wie aus den beiden Szenarien zu erkennen ist, wird aufgrund des Niederstwertprinzips tendenziell mehr Eigenkapital benötigt – insbesondere dann, wenn der Kaufpreis deutlich über der Verkehrswertschätzung der Bank liegt (s. Szenario A).
Wie schon eingangs erwähnt, tritt nun per 1.1.2025, im Zuge der Basel III Einführung in der Schweiz, die neue Eigenmittelverordnung (ERV) in Kraft. Mit ihr steht der Schweizer Hypothekarmarkt vor bedeutenden Anpassungen, die unter anderem auch das Niederstwertprinzip betreffen.2 Konkret geht es hierbei um Artikel 72b (ERV), der per 1.1.2025 direkte Auswirkungen auf das Niederstwertprinzip haben wird und in Teilen wie folgt lautet:
Direkt und indirekt grundpfandgesicherte Positionen: Belehnungswert
«Der ursprüngliche Belehnungswert des Grundpfandes ist im Rahmen der Kreditvergabe bei Neugeschäften und bei Krediterhöhungen festzulegen und während fünf Jahren beizubehalten. Werden die bei einer Krediterhöhung generierten Mittel nicht in das Grundpfand investiert, so ist eine Neufestlegung des Belehnungswerts des Grundpfands nicht zulässig und die Frist von fünf Jahren läuft weiter. Werden Grundpfänder während der Kreditlaufzeit in Portfolien aufgenommen, so gilt als ursprünglicher Belehnungswert der Wert bei Aufnahme ins Portfolio.» ERV (ab 1.1.2025), Art. 72b, Abs. 1
«Die internen Weisungen müssen ein Niederstwertprinzip vorsehen, wonach bei einer Handänderung als ursprünglicher Belehnungswert der tiefere Wert von Marktwert und Kaufpreis gilt.» ERV (ab 1.1.2025), Art. 72b, Abs. 7
Unser Hauptaugenmerk fällt hierbei vor allem auf die genannte Frist von 5 Jahren, in welcher der ursprüngliche Belehnungswert beibehalten werden muss. In Kombination mit dem gesetzlich verankerten Niederstwertprinzip in Art. 72b, Abs. 7, ergibt sich somit eine deutliche Verlängerung der Frist von 2 auf 5 Jahre.
Geltungsdauer des Niederstwertprinzips
Bisher: 2 Jahre ⇒ Neu: 5 Jahre
Doch wieso ist diese Verlängerung überhaupt relevant und wen betrifft diese? Im folgenden Abschnitt gehen wir vertieft auf diese Fragen ein.
Die Grundüberlegung sämtlicher Akteure ist eine Wertsteigerung der Liegenschaft über einen gewissen Zeitraum, was wiederum eine Aufstockung der Hypothek ermöglichen würde. Konkret bedeutet das für:
Kreditnehmer
Für Kreditnehmer, wie z.B. Unternehmer, die kurz-/mittelfristig Investitionen in ihr Unternehmen tätigen wollen oder auch Immobilieninvestoren, die auf Marktopportunitäten reagieren möchten, kann eine Aufstockung der Hypothek sehr hilfreich sein, um wichtige Liquidität für verschiedenste Projekte zu erhalten. Durch die verlängerte Frist auf 5 Jahre, dauert es nun jedoch bedeutend länger, um eine Neubewertung der Liegenschaft vorzunehmen. Die Konsequenz kann eine reduzierte Investitionstätigkeit bei Unternehmen sein oder wichtige Liquiditätspuffer in unsicheren Zeiten stehen nicht (oder nicht rechtzeitig) zur Verfügung.
Banken
Für Banken bedeutet die längere Geltungsdauer des Niederstwertprinzips grundsätzlich eine tiefere Risikoaufnahme und höhere Sicherheitspuffer bei steigenden Immobilienpreisen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch geringere Zinseinnahmen, da Hypotheken für längere Zeit auf einem tieferen Niveau liegen werden. Banken könnten deshalb dazu geneigt sein direkte Investitionen in Liegenschaften zu fördern, um deren Belehnungswert zu steigern und entsprechend die Hypothek aufzustocken, da dies die einzige Ausnahme während der 5-Jahres Frist wäre (s. Art. 72b, Abs. 1 und 2 (ERV)). Alternativ könnten sie auch einfach die Zinsmarge erhöhen, um die tieferen Einnahmen zu kompensieren, was jedoch aufgrund des steigenden Wettbewerbs vermutlich nur kurzfristig von Bedeutung wäre (siehe unten Abschnitt c).
Eine weitere Konsequenz für Banken und deren Wettbewerbsfähigkeit, so wie es auch schon der SBVg frühzeitig angemerkt hat (SBVg, Basel III Final (2022)), könnte die Vergabe von Hypotheken-Neugeschäft an alternative Kapitalgeber sein, die nicht dem ERV bzw. Basel III unterstehen und entsprechend nicht an das Niederstwertprinzip oder dessen Geltungsdauer von 5 Jahren gebunden sind. Dies können z.B. Crowd-Lending Plattformen sein, Private Credit Fonds oder auch Pensionskassen.3 Mögliche Kooperationen zwischen Banken und alternativen Kapitalgebern sind daher denkbar, um beide Sichtweisen bei der Hypothekenvergabe zu vereinen.
Ein weiterer Punkt, der die Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Banken beeinträchtigen könnte, ist die Tatsache, dass die 5-jährige Geltungsdauer des Niederstwertprinzips Teil des sogenannten «Swiss Finish» von Basel III ist, d.h. ausländische Banken unterliegen zwar ihren nationalen Umsetzungen von Basel III, beinhalten jedoch keine quantitative Ausgestaltung eines Niederstwertprinzips. Zwar gibt es andere Regulierungen, die eine Kreditvergabe bei Wohnliegenschaften durch ausländische Banken in der Schweiz erschweren aber nicht unmöglich machen. Wie sich die Dynamik auf dem Schweizer Hypothekarmarkt entwickelt, wird sich also zeigen – insgesamt ist jedoch mit einem Anstieg der Akteure zu rechnen.
Alternative Kapitalgeber
Wie unter b) bereits angedeutet liegt die Vermutung nahe, dass alternative Kapitalgeber (d.h. insbesondere Crowdlending-Plattformen, Private Credit Fonds und Pensionskassen) mit steigender Nachfrage rechnen müssen, da diese einen höheren Belehnungswert ansetzen können als Banken und entsprechend Kreditnehmer weniger Eigenkapital aufbringen müssen. Dies muss nicht notwendigerweise die Erstrang-Hypothek der Bank ersetzen, sondern kann auch ergänzend im Nachrang geschehen. Insbesondere bei Crowdlending-Plattformen und Private Credit Fonds würde man im Sinne des Regulators das höhere Risiko im Nachrang an alternative Kapitalgeber / Investoren weitergeben, statt das Risiko bei Banken bzw. deren Einleger zu platzieren.
Eine weitere Konsequenz der verlängerten Geltungsdauer wird voraussichtlich auch eine längere Laufzeit der nachrangigen Hypotheken von alternativen Kapitalgebern sein. Allgemein liegen diese um die 2-3 Jahre, vergleichbar mit der bisherigen Geltungsdauer von 2 Jahren, da Kreditnehmer die Zeit bis zur Hypothekenaufstockung mit nachrangigen Krediten überbrücken konnte. Mit der verlängerten Geltungsdauer werden auch alternative Kapitalgeber gezwungen sein entweder bestehende Produkte anzupassen oder neue Produkte zu lancieren, die u.a. auch eine längere Laufzeit vorsehen.
Wir können zusammenfassen, dass das Niederstwertprinzip auf eine konservative Hypothekenvergabe abzielt. Im Zuge der bevorstehenden regulatorischen Änderungen durch Basel III Final und der neuen Eigenmittelverordnung verlängert sich nun die Geltungsdauer des Niederstwertprinzips von 2 auf 5 Jahre. Dies führt zu einer noch konservativeren Hypothekenvergabe und lässt vermuten, dass einerseits Banken alternative Wege suchen, um die tieferen Zinseinnahmen (aufgrund niedrigerer Hypotheken über einen längeren Zeitraum) zu kompensieren und andererseits die Art und Anzahl der Akteure auf dem Schweizer Hypothekenmarkt steigen, um Kreditnehmern eine Finanzierungslösung anbieten zu können.
Fussnoten
1 https://www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2024/13/de
2 Es gibt noch weitere Anpassungen durch Basel III, welche direkte Konsequenzen auf den Hypothekarmarkt haben. Eine Einbeziehung dieser Anpassungen würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen.
3 Versicherer klammern wir hierbei bewusst als alternative Kreditgeber aus, da Versicherer Eigenmittel für Hypotheken hinterlegen müssen und Finma innerhalb des Swiss Solvency Tests («SST») aktiv auf Artikel 72 (ERV) verweist (s. Abschnitt 2.4, FINMA (2024))
Quellen:
ECO (2024): Verordnung über die Eigenmittel und Risikoverteilung der Banken und Wertpapierhäuser (Eigenmittelverordnung, ERV); Änderung vom 29. November 2023: https://www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2024/13/de
SBVg, Basel III Final (2022): https://www.swissbanking.ch/_Resources/Persistent/4/e/7/6/4e7629d71e7bea24070c52d6933ee3afa4b19ca7/PP%20Basel%20III%20Final_Hypotheken_DE.pdf
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